Türkische Polizei tötet erneut Demonstranten – Repressionsapparat auf Hochtouren

polis siddeti18jähriger kurdischer Demonstrant in Gever ermordet – Verletzte Flüchtlinge aus Kobanê werden festgenommen – Festnahmewellen in Amed, 08.12.2014

Der türkische Sicherheitsapparat setzt in den vergangenen Tagen wieder verstärkt auf Eskalation in Nordkurdistan. So kommt es vielerorts zu Hausdurchsuchungen und Razzien, bei denen dutzende politische AktivistInnen festgenommen werden. So wurden alleine in Amed (Diyarbakir) Mitte vergangener Woche 24 Menschen, darunter zehn Minderjährige, festgenommen. Auch auf Demonstrationen in den kurdischen Regionen reagiert der türkische Staat derzeit mit roher Gewalt. So wurde bei einer Demonstration in Gever (Yüksekova) am 06.12. ein 18jähriger Demonstrant durch Schüsse der Sicherheitskräfte ermordet.

„Sie haben ihn eine stundelang gefoltert“

Bei dem ermordeten Demonstranten handelt es sich um den 18jährigen Rojhat Özdal. Der Protest in Gever forderte die Aufklärung der Morde von M. Reşit İşbilir, Veysel İşbilir und Bemal Tokçu, die allesamt bei Protesten am 6. und 7. Dezember des vergangenen Jahres in Gever ebenfalls durch die türkischen Sicherheitskräfte ermordet wurden. Auch diese Morde zogen keine Konsequenzen für die Sicherheitskräfte mit sich.

Die Demonstration wurde früh von den Sicherheitskräften, die mit gepanzerten Fahrzeugen in das Stadtzentrum aufrückten, angegriffen. Augenzeugen berichten von darauf folgenden schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den Demonstranten. Rojhat Özdal soll vom Dach eines Ladens aus Steine und einen Molotow-Cocktail auf die Polizei geschmissen haben. Die Augenzeugen verneinen allerdings, dass der 18jährige, wie die Sicherheitskräfte behaupten, auch mit einer Waffe Schüsse auf die Sicherheitskräfte abgefeuert habe. Die Sicherheitskräfte schossen zunächst wohl mit Gasgranaten und Plastikpatronen auf die Demonstranten. Später soll auch ohne Vorwarnung scharf geschossen worden sein.

Was danach geschah berichtet ein Augenzeuge gegenüber der Nachrichtenagentur Dicle (DIHA) wie folgt: „Als Rojhat vom Dach zu flüchten versuchten, umzingelten die Polizisten ihn in einer Sackgasse. Ein hochgewachsener maskierter Polizist stieg aus dem gepanzerten Fahrzeug und wir sahen, wie er sich hinkniete und sieben oder acht Schüsse abfeuerte. Als zum Tatort eilen wollten, wendeten ein Polizist seine Waffe in unsere Richtung, und sagte, wir sollen verschwinden. Wir hörten das Stöhnen von Rojhat. Es war klar, dass er schwer verletzt war. Doch die Polizisten beleidigten ihn und forderten ihn auf, zu erklären, wer die Peron neben ihm war. Als wir nichts mehr hörten, war uns klar, dass er verstorben war. Er lag fast eine Stunde verletzt am Tatort. Sie haben ihn eine stundelang dort gefoltert, anders kann man das nicht beschreiben.“

Kurz nach der Tat versuchten die Sicherheitskräfte den Mord an Rojhat Özdal zu vertuschen. So soll die Polizei einen Anwohner aus der Nähe des Tatorts versucht haben, dazu zu drängen, eine Zeugenaussage in ihrem Sinne gegenüber der Staatsanwaltschaft abzugeben. „Sie forderten mich auf, in ihr gepanzertes Fahrzeug zu steigen und bei der Staatsanwaltschaft anzugeben, dass der Junge auf sie geschossen habe. Sie sagten, es würde keine 20 Minuten dauern. Aber ich weigerte mich“, berichtet ebenfalls gegenüber DIHA. Außerdem habe die Polizei kurz nach der Tat das Speichermedium einer Sicherheitskamera in der Nähe des Tatorts beschlagnahmt.

Zu der Beerdigung von Rojhat Özdal am 07.12. in Gever versammelten sich zehntausende Menschen (Bilder der Beerdigung hier). Die türkischen Sicherheitskräfte hielten sich dieses Mal zurück. Dagegen kam es bei Protesten aufgrund der Ermordung von Rojhat in den Städten Silopi und Cizre zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. In Cizre wurde ein neunjähriger Junge von einer Gasgranate am Kopf getroffen und befindet sich derzeit in einem örtlichen Krankenhaus in Behandlung. Über seinen aktuellen Gesundheitszustand gibt es keine Informationen.

 

Der türkische Sicherheitsapparat setzt in den letzten Tagen auch auf verstärkte Repressionsmaßnahmen gegen Flüchtlinge aus Rojava. So häuften sich in der vergangenen Woche die Meldungen darüber, dass Verletze Personen, die aus Kobanê über die Grenze nach Pîrsûs (Suruç) gelangten, noch im Krankenhaus von türkischen Sicherheitskräften festgenommen wurden. Nun hat die Staatsanwaltschaft von Riha (Urfa) gegen fünf vom mindesten zehn Festgenommenen Menschen aus Kobanê einen Haftbefehl erlassen.

Auch gegen politische AktivistInnen aus Nordkurdistan kommt es in den vergangenen Tagen erneut zu Repressions- und Festnahmewellen. So wurden allein in der letzten Woche knapp 50 Menschen, darunter 24 aus Amed, festgenommen. Laut Angaben der Demokratischen Partei der Regionen (DBP) sollen die Festgenommenen in Wan (Van) auch gefoltert worden sein. Die Co-Vorsitzenden der DBP in Wan berichteten, dass sie die Festgenommenen besucht und von diesen erfahren haben, dass die Sicherheitskräfte im Gefängnis enormen Druck auf die Gefangenen ausüben, damit diese ihre angebliche Schuld gestehen. „In mindestens einem Fall wurde der Gefangene hierbei nackt ausgezogen und gefoltert. Er wurde mit dem Tod bedroht, sollte er nicht gestehen“, heißt es in der Erklärung der DBP.

In Amed gingen am 06.12. tausende Menschen auf die Straßen, um gegen die erneuten Repressionswellen des türkischen Staates zu protestieren. Die Aufrufer der Demonstration erklärten, dass ihre Proteste solange anhalten werden, bis die Repressionen des türkischen Staates ein Ende nehmen würden.

Zu der Beerdigung von Rojhat Özdal am 07.12. in Gever versammelten sich zehntausende Menschen (Bilder der Beerdigung hier). Die türkischen Sicherheitskräfte hielten sich dieses Mal zurück. Dagegen kam es bei Protesten aufgrund der Ermordung von Rojhat in den Städten Silopi und Cizre zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. In Cizre wurde ein neunjähriger Junge von einer Gasgranate am Kopf getroffen und befindet sich derzeit in einem örtlichen Krankenhaus in Behandlung. Über seinen aktuellen Gesundheitszustand gibt es keine Informationen.